Dichterlesung: Die dunklen Seiten einer Kurstadt

Alexander Pfeiffer liest in der Friedrich-List-Schule aus seinen Wiesbadener Krimis

„Literaturunterricht hatte manchmal etwas von Archäologie: Da hat eine Lehrkraft andächtig totes Material ausgegraben und dann den pflichtgemäß Anwesenden die einzig wahre Deutung der Fundstücke mitgeteilt.“ So ähnlich hat Alexander Pfeiffer, Wiesbadener Roman- und Gedichtautor, die schlimmeren Stunden des Deutschunterrichts erlebt, den er während seiner Schulzeit doch eigentlich mochte.

1. Schriftstellerlesung: Die dunklen Seiten einer Kurstadt

Der Schriftsteller Alexander Pfeiffer
zu Gast in der Friedrich-List-Schule

Um zu zeigen, dass Literatur viel mit „dem Leben da draußen“ und auch mit dem eigenen Leben der Leserinnen und Leser zu tun hat, besucht der Autor und amtierende Vorsitzende des Hessischen Landesbezirks im Verband deutscher Schriftsteller (VS) gerne einmal Schulklassen. Hier treffen sich seine Absichten mit denen der Deutschlehrerinnen Martina Ecker-Link und Astrid Tubbesing, die den Schriftsteller zur Lesung in die elfte Jahrgangsstufe des beruflichen Gymnasiums an der Friedrich-List-Schule (FLS) gebeten haben. „Natürlich versucht moderner Literaturunterricht, die Schüler intensiv mit dem Text in Kontakt zu bringen, heute mehr als vor 20 Jahren. Aber die persönliche Begegnung mit einem leibhaftigen Schriftsteller – das ist doch eine ganz besondere Anregung“, so die Motivation der beiden Lehrerinnen.

 

Der Schriftsteller ist ein kritischer Wiesbaden-Kenner

In der Tat nehmen die Schülerinnen und Schüler Alexander Pfeiffer als Schriftsteller „zum Anfassen“ wahr. Bereits sein Outfit und sein Lebensalter – immerhin über 30 – verhindern, dass sie ihn zu den „verstaubten Klassikern“ zählen. Letzte Vorbehalte schwinden, als klar wird, dass Pfeiffer wie viele von ihnen ein Wiesbadener ist und in Wiesbaden lebt, dass er wie sie die einschlägigen Plätze und Treffs der Stadt kennt und auch mit den Schattenseiten des einstigen Weltkurorts vertraut ist. Stoff für seine Wiesbaden-Krimis, die er zur Lesung mitgebracht hat, findet Pfeiffer gerade im sozialen Gefälle der Stadt: Kurhaus, Bowling Green und Theaterkolonnaden einerseits, fantasielose Stadtrandsiedlungen und die Gestrandeten am Platz der Deutschen Einheit andererseits. Bevor Pfeiffer liest, zeigt ein kurzer Ausschnitt aus dem filmischen Stadtporträt „Wiesbaden – Nizza des Nordens“ den Schriftsteller als Taxifahrer, der die Zuschauer durch Licht und Schatten der Stadt begleitet, und auch hier spiegelt sich die Skepsis, die Pfeiffers Krimi-Trilogie prägt: Wiesbaden ist im Alltag wohl nicht mehr als die „mondäne Kurstadt“ erfahrbar, wie sie die Hochglanzprospekte der Tourist-Information bewerben.

 

2. Schriftstellerlesung: Die dunklen Seiten einer Kurstadt

Offenbar eine ziemlich anregende Deutschstunde -
die Schülerinnen und Schüer sind ganz Ohr

Eigenwillige Charaktere mit Wiedererkennungswert

Bei der Lesung aus den drei Krimis erkennt das Publikum schnell die lokalen Schauplätze und sympathisiert mit den etwas verschrobenen Heldenfiguren. Man begegnet Matthias Groß, dem Nachttaxifahrer, der sein ziemlich kleines Leben mit Klängen aus Beethovens fünfter Sinfonie aufzuwerten versucht, Prostituierte und Betrunkene durchs Dunkel chauffiert und zu seinem Wagen beinahe eine Liebesbeziehung unterhält. Sein Kumpel Art, Kollege im ersten Krimi, spielt die Hauptrolle im zweiten, er hat den Taxisteig hinter sich gelassen und ist zum Fahrer eines zwielichtigen Medienunternehmers avanciert, wie zuvor stets mit einem Fuß im Gefängnis. Im dritten Krimi trifft man Art und Matthias wieder, als sie gemeinsam mit einem windigen Filmvorführer Abenteuerliches unternehmen, um ihre jeweilige finanzielle Misere zu beenden; sozialkritische Töne mischen sich mit der farbenprächtigen Kulisse der 100-Jahr-Feier des Kurhauses. Jeder der drei Krimis hat seine eigene Handlung, seine Einbrüche und Morde, doch die wiederkehrenden Schauplätze und die vertrauten Figuren schaffen Verbindungslinien jenseits von Blut und Blaulicht.

 

Mission erfüllt: Literatur ist lebendig geworden

Die Ahnung des Publikums, dass Pfeiffers Schreiben von der eigenen Biografie geprägt ist, bestätigt der Schriftsteller freimütig in der anschließenden Fragerunde: Jahrelang sei er selbst als Taxifahrer durch das nächtliche Wiesbaden gekreuzt; seinen Romanfiguren habe er Charakterzüge von Fahrgästen, Bekannten und Freunden verliehen; die Storys seien frei erfunden, doch nicht frei von Geschichten, die ihm hinterm Steuer erzählt wurden. Gerade im Taxi habe er Menschen kennen gelernt, die ihn bei der Recherche von Drogentarifen unterstützen konnten; die Glaubwürdigkeit seiner Plots lasse er von einem „echten“ Kommissar prüfen. Die Schülerinnen und Schüler zeigen sich beeindruckt und stellen Fragen über Fragen zum Schreiben und zum Alltag eines leibhaftigen Schriftstellers. Pfeiffer hat sichtlich Spaß am Interesse seines Publikums und den Lehrerinnen bleibt zu hoffen, dass der Autor sich in der Halb- und Unterwelt Wiesbadens tatsächlich besser auskennt als ihre Schützlinge. Wie der lang anhaltende Applaus der Klasse zeigt, ist Pfeiffers Mission geglückt und der Plan der Lehrerinnen aufgegangen: Dass Literatur und Leben sehr viel miteinander zu tun haben, konnte man in dieser Deutschstunde jedenfalls mit Händen greifen.

3. Schriftstellerlesung: Die dunklen Seiten einer Kurstadt

Der Schriftsteller und die Initiatorinnen der Dichterlesung,
Frau Ecker-Link und Frau Tubbesing


Kirsten Parche
Stand: 12/2010

 

Wer eine Dichterlesung oder einen vom Schriftstellerverband geleiteten Schreibworkshop an die Schule holen möchte, findet mehr Information unter www.vs-hessen.de.