Angehende Immobilienkaufleute unterwegs im Land der Häuslebauer

Die Klasse 11.61 auf Studienreise in Stuttgart

Dienstag früh, acht Schülerinnen und drei Schüler, eine Lehrerin und ein Lehrer, alle gut gelaunt im Intercity von Mainz Hauptbahnhof nach Stuttgart Hauptbahnhof. Stuttgart Hauptbahnhof...? Da war doch noch etwas Größeres, kam das nicht dauernd in den Nachrichten...? Ja, aber dazu später mehr.

Bevor wir uns um das Bahnprojekt kümmern können, müssen wir uns um uns selbst kümmern. Klassenlehrer Jochen Schalon hat uns in der „Jugendherberge Stuttgart International“ eingemietet, die uns mit einem gläsernen Aufzug überrascht und einen spektakulären Blick über die Stadt und ihr Häusermeer bietet. Die Aussicht zeigt, dass Stuttgart in einem Talkessel liegt. Beinahe magisch wird das Auge von der dunklen Mitte dieses Kessels angezogen: Vom Bahnhof nämlich inmitten seiner ausgreifenden Gleisanlagen, große Flächen in tiefem dunklem Grau. Spätestens jetzt muss Verständnis aufkommen für die Idee, all das unter der Erde verschwinden zu lassen. Wenig überraschend war dann auch nach Schlüsselausgabe und Ansage der Essenszeiten die erste Frage des freundlichen jungen Mannes an der Rezeption: „Wie stehen Sie denn als Wiesbadener so zu ‚Stuttgart 21’?“ ... aber wie gesagt, dazu später mehr.

 

Das Porsche-Museum lässt niemanden ganz kalt

Erster Programmpunkt der Studienfahrt ist das Porsche-Museum. Bereits beim Ankommen beeindruckt der mächtige Baukörper des Museums, der über dem Boden zu schweben scheint. Die Fassade des Bauwerks ist mit schimmernden Waben verkleidet, in denen sich Licht und Schatten und die Besucher spiegeln. Die erste Runde, die wir auf eigene Faust durch die Ausstellung der Traumautos drehen, macht neugierig; die Anordnung der Fahrzeuge, die Laufwege und die Räume erscheinen sehr eigenwillig. Aber das ausgeklügelte gestalterische Konzept der Ausstellung erschließt sich erst richtig beim genauen Hinsehen und umso leichter unter fachkundiger Anleitung. So weiht uns Frau Dr. Schesmer vom Besucherdienst in die Besonderheiten der Architektur ein.

6. Angehende Immobilienkaufleute unterwegs im Land der Häuslebauer

„Weite und Kompression“ sind die Prinzipien der Raumgestaltung im Porsche-Museum. Schräg verlaufende Wandstrukturen, spitze Winkel und die Farbgebung erzeugen den Eindruck von Be-wegung und Dynamik. Auf diese Weise wird die potenzielle Geschwindigkeit der präsentierten Fahrzeuge spürbar, obwohl die Objekte stehen. Mit Leitbegriffen wie „schnell“, „leicht“, „stark“ wird die Ausstellung thematisch strukturiert, die vom Ur-Porsche ausgehend in einer langgezogenen Spirale vorbei an den Rennsport-Boliden immer weiter aufwärts führt bis hin zum aktuellen straßentauglichen Spitzenmodell 911 GT2.

Sogar die weniger Autobegeisterten unserer Gruppe haben glänzende Augen. Sie nicken – die meisten verständnisinnig, einige aber auch etwas spöttisch –, als Frau Dr. Schesmer von ehrfürchtigen Museumsbesuchern berichtet, die zu Tränen gerührt vor ihrem Traumwagen stehen, für dessen Anblick sie mitunter Tausende von Kilometern gereist sind. „Das Porsche-Museum ist eine Wallfahrtsstätte?“, fragt es aus unserer Gruppe. Die Führerin lacht zustimmend. „Genau so ist es. Sie müssen nur mal den Besuchern zuhören, wenn sie ihre Geschichten erzählen...“. Übrigens hat sie an den klugen Fragen und Anmerkungen unserer Gruppe längst erkennen können, dass Immobilienkaufleute neben ihrem kaufmännischen Handwerkszeug durchaus auch ein Feeling für Architektur besitzen.

 

Rückkehr zur Normalität: Flanieren zwischen Fertighäusern

Die Fertighausaustellung in Stuttgart-Fellbach steht am nächsten Tag auf dem Plan und bietet ein echtes Kontrastprogramm zur spektakulären Porsche-Architektur. Zwar lugt hier einmal ein bunter Erker hervor und dort ein eigenwilliger Wintergarten, aber so wie ein Porsche kein Allerweltsauto und ein Porsche-Museum zur Extravaganz verpflichtet ist, ließe sich der Stempel „alltagstauglich“ auf beinahe jedes der hier versammelten Musterhäuser drücken. Haus für Haus arbeiten wir uns vor durch die über 60 Objekte umfassende Ausstellung und informieren uns über Grundrisstypen, moderne Heiz-, Dämm- und Sicherheitstechnik, schicke Bodenbeläge und neueste Bad-Trends. Anders als zunächst erwartet entdecken wir doch allerhand Unterschiedliches: Die Bandbreite des Angebots reicht vom „Häusle für den Massengeschmack“ bis hin zum individuellen Domizil mit Sauna, Pool und Turmzimmer.

Herr Kopp von der Allstav Haus GmbH lässt sich spontan zu einem kleinen Vortrag über die Finessen des Fertighausvertriebs überreden, die angehenden Immobilienmaklern und Hausverwaltern eher nicht so geläufig sind. Natürlich macht auch er einige Randbemerkungen zum Projekt „Stuttgart 21“, das für die Menschen in der Region offenbar das tägliche Thema Nr. 1 geworden ist. Herr Kopp schließt seine Rede mit dem flammenden Appell an seine jungen Kolleginnen und Kollegen, in Kundenberatung und Verkauf aufrichtig und redlich zu bleiben.

 

Schwäbische Traditionsküche versus Zeltstadt im Schlosspark – Stuttgart „hat was“

Es folgt der kulinarische Höhepunkt der Studienfahrt: ein Abend beim „Ochs’n-Willi“. Das Wirtshaus hat uns das kompetenten Jugendherbergsteam empfohlen. Hier kommt es – nach mexikanischem Abendbuffet in der Jugendherberge und Lunchpaket in der Fertighausausstellung – endlich zur genießerischen Kontaktaufnahme mit der Region. Geordert werden bergeweise Spätzle, Flädle und Maultaschen mit Kartoffelsalat... allein diese schwäbischen Schmankerln wären schon Grund genug, einmal wieder nach Stuttgart zu reisen – ganz egal, ob man in Zukunft unter- oder oberirdisch dort ankommt.

7. Angehende Immobilienkaufleute unterwegs im Land der Häuslebauer

Am Tag 3 der Studienfahrt ist der Hauptbahnhof schon aus organisatorischen Gründen eine wichtige Anlaufstelle, denn es geht zurück nach Hause. Doch was sich wie ein roter Faden durch unsere Zeit in Stuttgart zieht, soll jetzt noch einmal genauer untersucht werden: Warum ist die „schwäb’sche Eisenbahn“ derzeit eher ein Reizthema und in den Medien täglich präsent? Was hat es auf sich mit „Stuttgart 21“? Was ist es, das Alt und Jung bewegt, nicht mehr ohne Button an Schal oder Jacke aus dem Haus zu gehen und dadurch jedem die eigene Haltung mitzuteilen, dafür oder dagegen? Aufkleber auf Autos, Schilder in Fenstern und Fahnen auf Dachterrassen zeigen ein zerrissenes Meinungsbild. Traditioneller Kopfbahnhof oder ultramoderne Durchgangsstation – für Bürgerinnen und Bürger von Stuttgart eine Glaubensfrage.

Den meterlangen Bauzaun am Nordausgang kennt man schon aus dem Fernsehen, denn die Kameras finden unter den ungezählten Unmut bezeugenden Zetteln und Plakaten immer etwas zum Zoomen. Auch die Mahnwache der „Parkschützer“ ist ein oft gesehenes Nachrichtenmotiv. Der Schlosspark (oder was von ihm übrig ist): stellenweise eine Zeltstadt – Planen, Pavillons und Dixi-Häuschen, soweit das Auge sieht. Mittendrin die professionelle Informations- und Überzeugungs ausstellung der Deutschen Bahn, die mit fünf Etagen und einer Aussichtsplattform im 10. Stock aufwarten kann, mit beeindruckenden 3D-Modellen, hydraulisch steuerbar, mit aufwändiger Präsentationstechnik und mit pensionierten Bahnmitarbeitern, die bei angereisten Schulklassen Überzeugungsarbeit leisten. Dafür oder dagegen? Die Meinungen sind auch in unserer Gruppe geteilt.

Immerhin gut informiert und immer noch gut gelaunt reisen wir ab. Rückblickend wird deutlich, dass wir auf unserer Reise eine große Bandbreite dessen, was das Berufsbild der Immobilienkaufleute ausmacht, hautnah erlebt haben: von der auffälligen Architektur eines Ausnahme-Museums über die Details des einzelnen Fertighauses bis hin zum Regional- und Stadtentwicklungskonzept auf höchster Ebene. Und nicht zu vergessen die Berufsehre, die unser Referent im Fertighaus uns so glaubwürdig und eindringlich nahegelegt hat. Reisen bildet, sagt man. Das stimmt, sagen wir!

Kirsten Parche
Stand: 12/2010