Politikunterricht hautnah: Azubis erfahren Geschichte eines Flüchtlings aus erster Hand

Auf einem Fluchtversuch aus Griechenland heraus versteckte er sich in einem Ölfass vor der Polizei. Mit einer Hand hielt er den Deckel zu, die andere klebte am Boden fest. Er bekam fast keine Luft mehr. Nur mit Mühe gelang es ihm, sich aus dem Ölfass zu befreien.

„Mein Name ist Sayed Mostafa Hosaini und ich komme aus Afghanistan.“ Mit diesen Worten stellt sich der 20-jährige, der eine acht Monate dauernde Flucht nach Deutschland hinter sich hat, der Klasse 10.39 vor. Die angehenden Verkäufer aus dem ersten Lehrjahr haben ihn im April zusammen mit Herrn Kosmehl vom Evangelischen Stadtjugendpfarramt ihm Rahmen des Politikunterrichts zum Thema Flüchtlingskrise eingeladen.

 

Sayed schildert der Klasse seine Flucht in kurzen Auszügen. Mit 16 Jahren floh er im Jahr 2011 aus Afghanistan. Sein Bruder war zuvor von den Taliban ermordet worden und Sayeds Familie wollte ihn in Sicherheit wissen. Eine lange Reise lag vor dem jungen Mann, der die Flucht alleine antreten musste und dies, so sagt er, „mit tausend Ängsten im Herzen“. Vom Iran aus gelang es ihm, mit Schleppern in die Türkei zu kommen. Dort wurde er wegen illegalen Aufenthalts von der Polizei festgenommen und musste 52 Tage im Gefängnis verbringen. Im Gefängnis schloss er Freundschaft mit weiteren Flüchtlingen und mit ihnen gelang es ihm, nach seiner Freilassung zu Fuß die griechische Grenze zu passieren. Die Zeit in Griechenland war für Sayed besonders gefährlich. Einmal hatten ihn kurdische Geiselnehmer gefangen genommen, sie schlugen ihn. Ihm gelang die Flucht.

Dass er auf einer Überfahrt über das Meer mit dem völlig überladenen und dann kenternden Flüchtlingsboot beinahe ertrunken wäre, erzählt der zurückhaltende und höfliche Sayed der Klasse nicht. Dies geht aber aus seiner Fluchtgeschichte hervor, die er für das Kochbuch „Küche Asyl“ aufgeschrieben hat.

Doch schließlich gelang es ihm von Griechenland aus nach Italien zu kommen. Mit dem Zug fuhr er ohne Fahrschein bis nach Deutschland weiter, wo er am 9.4.2011 nach acht Monaten Flucht ankam. Für Sayed ist es ein Wunder, überlebt zu haben und hier zu sein. Sayed sagt, dass er Glück hatte. Denn er konnte schnell Deutschkurse besuchen. In Wiesbaden wurde er im Antoniusheim aufgenommen. An der Riehlschule schaffte er es, als Analphabet und mit großem Engagement einer Lehrerin, das Fachabitur zu erlangen. Heute macht Sayed eine Ausbildung zum Biologisch-Technischen Assistenten an der Kerschensteiner Schule und bereitet sich auf die Hochschulreife vor. Sayeds Hoffnungen ruhen darauf, eines Tages seine Familie nach Deutschland holen zu können. Derzeit befinden sich seine Eltern und Geschwister noch in Griechenland. Ihre Weiterreise ist derzeit ungewiss.

Die Schülerinnen und Schüler der Klasse 10.39 folgen gespannt den Erzählungen Sayeds und stellen ihm viele Fragen. Markus meint: „Es ist erstaunlich zu sehen, zu was Menschen aus so schwierigen Situationen fähig sind. Alleine die Flucht nach Deutschland muss ein einziger Kraftakt gewesen sein. Sich dann noch in einem fremden Land zurecht zu finden, die Sprache zu lernen und in so kurzer Zeit einen so hohen Bildungsabschluss zu erreichen, ist eine starke Leistung“.

 

Gundula Kienel-Hemicker
Redaktion: Martina Lind
Stand: 06/2016