Vortrag ''In Zeiten der Finanzkrise''

2. Vortrag 'In Zeiten der Finanzkrise' Von der Immobilien- und Bankenkrise zum Staatsbankrott?

Professor Dr. Paul G. Schmidt von der Frankfurt School of Finance & Management referiert in der Friedrich-List-Schule

Wir schreiben das Jahr 2011: Das Jahr nach der Finanzkrise? Ein Jahr mitten in der Finanzkrise? Oder doch ein Jahr vor der Finanzkrise? Diesen und vielen weiteren Fragen zur Wirtschaftskrise und deren Entstehung widmete sich Professor Dr. Paul G. Schmidt, Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung an der Frankfurt School of Finance & Management, am Abend des 8. Februar in der oberen Aula der Friedrich-List-Schule (FLS) in seinem Vortrag “In Zeiten der Finanzkrise – Von der Immobilien- und Bankenkrise zum Staatsbankrott?“.

1. Vortrag 'In Zeiten der Finanzkrise'

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Circa 250 Interessierte fanden den Weg zu dieser Abendveranstaltung in die Aula der List-Schule, darunter aktuelle und auch ehemalige Schülerinnen und Schüler der Fachrichtung Wirtschaft des beruflichen Gymnasiums, Lehrerinnen und Lehrer sowie Freunde und Förderer der FLS. Auch aus der benachbarten Schulze-Delitzsch-Schule, an der u.a. die Fachoberschule Wirtschaft beheimatet ist, nahmen Vertreter der Schüler- und Lehrerschaft teil.

 

Staatsdefizite sind zahlreich und auf unterschiedliche Ursachen zurückzuführen

Professor Schmidt begann seinen Vortrag mit einem Überblick über die aktuellen Defizite in den Staatshaushalten ausgewählter Länder. So hat Deutschland bis ins Jahr 2009 Schulden in Höhe von 73 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) aufgebaut. Griechenland wurde natürlich auch erwähnt: mit bedenklichen 127 Prozent des dortigen BIPs. Und damit nicht genug, stellte der Experte auch die aktuelle Schuldenlage in Japan dar: Beispiellose 227 Prozent des BIP in Japan seien Staatsschulden. Um es zu verdeutlichen: Sämtliche Einnahmen aus Waren- und Güterverkäufen in Japan müssten für über zwei Jahre gesammelt werden, um die Schulden komplett tilgen zu können!

Um die langfristigen Ursachen des Schuldenanstiegs darzustellen, erläuterte der Referent die Konvergenzkriterien, die ein Staat (eigentlich!) erfüllen müsste, um dem Euro-Raum beizutreten. Eigentlich. Denn schon bei der Euro-Einführung im Jahre 1999 lagen acht Staaten (darunter auch Deutschland und Italien) über der festgelegten Grenze von maximal 60 Prozent Schulden gemessen am BIP. Trotzdem wurden sie aus verschiedenen Gründen in den Euro-Währungsverbund aufgenommen. Von Anfang wurde das Problem der Staatsverschuldung nicht mit dem notwendigen Ernst wahrgenommen, so Professor Schmidt. Griechenland und Portugal hätten sich durch extrem gestiegene Lohnstückkosten (in 13 Jahren wuchsen sie um 61 bzw. 49 Prozent) selbst ins Abseits manövriert, während in Deutschland die Lohnstückkosten auf einem stabilen Niveau geblieben und gerade einmal um vier Prozent gestiegen seien, so Professor Schmidt. Griechen und Portugiesen lebten über ihre Verhältnisse, gleichzeitig steige in Deutschland das reale und somit verfügbare Einkommen nur um einen verschwindend geringen Wert. Ferner hätte auch die enorm hohe Korruption ihren Beitrag zu den Krisen in Griechenland, Italien und Spanien geleistet. Denn wenn die genannten Länder ihre Schattenwirtschaft in den Griff bekämen, so die These von Professor Schmidt, bräuchten sie keine Unterstützung mehr von anderen Ländern.

3. Vortrag 'In Zeiten der Finanzkrise'

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Über Geld- und Zinspolitik des EZB-Systems lässt sich trefflich streiten

Im Hinblick auf die Rolle des Europäischen Systems der Zentralbanken, bestehend aus der Europäischen Zentralbank und den jeweiligen Nationalbanken des Euro-Raums, bezeichnete der Referent niedrige Zinsen als „ein falsches Signal für die Märkte“. Er bemängelte die „völlig verfehlte Geldpolitik“: In den Jahren 2002 bis 2005 sei der Leitzins nämlich auf ein sehr niedriges Niveau gesenkt und Geld zu minimalen Zinsen (also praktisch kostenlos) auf den Markt geworfen worden. Dieses Geld habe die gefürchteten Spekulationsblasen genährt, welche die Preise von Immobilien und Rohstoffen weit über ihren objektiven Wert trieben. „Immobilien konnte man in Spanien an der Tankstelle erwerben“. Die Preise für Immobilien schossen in weiten Teilen Europas in die Höhe. Alleine im April 2009 mussten die Banken Kredite und Wertpapiere in Höhe von 4.050 Mrd. US-Dollar abschreiben! Viele Banken brachen unter dieser Last zusammen, die Länder mussten unterstützend eingreifen, um ein Fiasko zu verhindern. Irland zum Beispiel musste hierfür 30 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung aufbringen! Auch Amerika ging es nicht besser. Als Folge des Crashs der Investmentbank Lehman Brothers brach der Welthandel Anfang 2009 zusammen. Die deutschen Exporte gingen um 35 Prozent zurück, eine Katastrophe für den damaligen Exportweltmeister.

4. Vortrag 'In Zeiten der Finanzkrise'

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Die Euro-Rettung verlangt gewaltige Anstrengungen und bleibt doch riskant

Schnell wurde gehandelt und ein Rettungspaket der Euro-Länder für notleidende Staaten geschnürt. Die griechische Regierung beschloss einen 5-Jahres-Plan, in dem u.a. die Mehrwertsteuer des Landes in zwei Stufen erhöht werden soll. Professor Schmidt hob die Beteiligung Deutschlands an diesem Rettungspaket hervor: So stellt Deutschland alleine rund 120 Milliarden Euro für den Rettungsfond zur Verfügung. Der Internationale Währungsfond (IWF) gewährt seinerseits noch einmal 250 Milliarden Euro. Aber auch am IWF ist Deutschland beteiligt, das an dieser Stelle somit nochmals rund 15 Milliarden Euro einspeist. Insgesamt beträgt der Anteil Deutschlands an den bisher aufgelegten Hilfsprogrammen der EU, der EZB und des IWF rund 219 Milliarden Euro. Um die Dimension dieser Summe zu veranschaulichen, stellte Professor Schmidt ihr die deutschen Steuereinnahmen des Bundes im Jahre 2009 gegenüber: Diese beliefen sich auf rund 225 Milliarden Euro.

Zu den Stützungsmaßnahmen, welche die Zentralbank leistet, äußerte sich Professor Schmidt so: „Die Zentralbank spielt eine wichtige Rolle, weil sie das Geld, das wir nicht haben, drucken kann!“. Außerdem könne der Euro an Stärke gewinnen, weil der Dollar in letzter Zeit wieder schwächele. Ansonsten warnte Schmidt wegen der Exporte davor, dass man den Euro schwach rede, denn wenn der Wechselkurs ständig abgewertet würde, stiegen die Importpreise wieder. Die Furcht vor einer Inflation wäre nicht unbegründet.

Der Finanzwissenschaftler bekundete auch Skepsis gegenüber den Programmen, die Griechenland von außen auferlegt wurden oder dem Land von der griechischen Regierung selbst (gezwungenermaßen) verordnet worden sind: Man solle nicht die Menschen dort vernachlässigen, sondern die Gefahren sozialer Kälte und möglicher Unruhen bedenken. Das Programm sei zu ehrgeizig gehalten und man solle dieses strecken, d. h. die Kredite aufstocken und längerfristig gewähren. In Irland seien des Weiteren die Stabilisierungskosten viel höher als von der irischen Regierung behauptet.

 

Ein vorsichtiger Ausblick erlaubt auch ein wenig Zuversicht

Zum Schluss seines Vortrags wagte Professor Schmidt einen Blick in die Zukunft. Im Mittelpunkt seiner Prognose stand Italien. Als „Peanuts“ bezeichnete Schmidt die Schulden der bekannten „Problemländer“ Griechenland, Irland und Portugal. Es bahne sich etwas viel Größeres an, denn Italien habe bis zum heutigen Tage seine Staatsschuld auf 1.841 Milliarden Euro getrieben – angesichts des aktuellen Schuldendienstes in Höhe von 55,9 Prozent der eingenommenen Steuern ein Horrorszenario, da der gespannte Rettungsschirm der Euro-Länder in Höhe von 925 Milliarden Euro bei Weitem nicht ausreichen würde, um dieses Loch zu stopfen. Bei einem Zusammenbruch der italienischen Wirtschaft – in Anbetracht der jetzigen politisch instabilen Situation dort sicherlich nicht nur ein rein theoretisches Gedankenspiel –, sei alles bislang Gekannte ein Kinderspiel.

Professor Schmidt beendete nach knapp 90 Minuten seinen Vortrag mit seiner Einschätzung deutscher Staatsanleihen, welche nach seiner Auffassung die sichersten Anleihen der Welt sind. Diese hielten die deutschen Zinsen niedrig und dienten vor allem der Schuldentilgung. Ihr Nachteil sei, dass Deutschland abhängig von Ausländern werde, denn ziemlich genau die Hälfte aller deutschen Staatsschulden lägen derzeit im Ausland. Deshalb sei es wichtig, dass das Ausland an Deutschland glaube. So vermutet Schmidt u.a., dass die deutschen Garantien für Griechenland und Irland den Run ausländischer Investoren auf deutsche Staatsanleihen, deren Gesamtwert in zehn Jahren von 400.000 Millionen Euro auf rund 900.000 Millionen Euro anstieg, gebremst hätten.

Am Ende der sehr kurzweiligen Präsentation nutzten einige Zuhörer die Gelegenheit, Fragen zu stellen, die der Referent kompetent beantwortete. Alles in Allem war dieser Vortrag sehr aufschlussreich, unter anderem deshalb, weil Fakten zur Sprache kamen, die vielen Zuhörern noch nicht bekannt waren. Gerade die Ausführungen über Italien waren bemerkenswert und zugleich brisant. Wir bedanken uns bei Herrn Professor Schmidt für seinen exzellenten Vortrag!

Schließen wir unseren Bericht über den erstklassigen Abend mit Professor Schmidt mit dessen eigenen aufmunternden Worten: „Die Finanzkrise wird nicht so schnell vorbei sein, wir werden aber die Probleme bewältigen können!“

Autorenteam: Carla Schreiber und Johannes Müller
(Leistungskurs BG Wirtschaft von H. Klotz)

Redaktion: Kirsten Parche
Stand: 03/2011